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Kirche im Lernmodus: Der Glaube der Jugend und eine neue Ethik

Viele Jugendliche konnten mit ihren Gaben Gemeinden in der Pandemie besonders stärken. Was zeichnet ihren Glauben aus? Teil 2 eines Interviews mit Professor Dr. Tobias Faix.

Stichwort Jugendliche: Sie haben eine Studie unter hochreligiösen Jugendlichen durchgeführt. Was war die größte Erkenntnis der Umfrage?

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Die Umfrage hat mir gezeigt, was wir für eine große Gruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Kirche haben, die eine hohe Identifikation mit ihr aufweisen, die einen überaus vitalen Glauben einzubringen haben.

Wie kamen Sie auf den Buchtitel „Generation Lobpreis“?

Das war eine Überraschung der Untersuchung. Uns war nicht bewusst, welch große Rolle Lobpreismusik in dieser Generation spielt, das hatten wir bis dahin nicht auf dem Zettel.

Was verstehen Sie unter Lobpreis?

Lobpreis ist das, was für viele ältere Menschen in der Kirche die Liturgie ist. Lobpreis ist für viele Jugendliche ein ganzheitliches Getragen-Werden in die Gegenwart Gottes. Lobpreis darf man nicht auf Popsongs von Hillsong & Co. reduzieren, sondern dies ist ein ganzheitlicher Resonanzraum des Glaubens mit allen Sinnen. Gerade wir Evangelischen haben da Nachholbedarf: Wir müssen lernen, nicht nur mit dem Kopf zu glauben. Glaube will und muss auch emotional erlebt werden. Hartmut Rosa und sein Resonanzbuch war für mich hier ein entscheidender Schlüssel. Lobpreis ist für viele Jugendliche ein Resonanzraum des Glaubens, in dem sie Gott spüren und erleben.

Welches Bild von hochreligiösen Jugendlichen zeigt die Studie?

Sie sind hochengagiert, sie wollen etwas gestalten und bewegen. Hier hat Kirche eine wunderbare Generation in sich. Wo bekommen die nun ihren Platz, welche Räume können sie gestalten und bespielen? Dieser Generation Platz einzuräumen, ist eine der Schlüsselaufgaben für die Zukunft der Kirche.

Sie malen ein rosarotes Bild der Zukunft. Doch gerade die Musik, zeigt doch, dass die Geschmäcker in dieser Frage weit auseinandergehen. Ist das Miteinander wirklich so konfliktfrei zu haben?

Das Entscheidende ist doch, was passiert. Ich habe höchsten Respekt davor, wenn jemand ein Orgelkonzert oder die klassische Liturgie als göttlichen Resonanzraum erlebt. Da würde ich immer sagen: Halleluja! Genauso erwarte ich dies dann von denen im Blick auf die Gotteszugänge von Jugendlichen auch. Ihnen abzusprechen, dass Lobpreis nur manipulativ, schlecht und seicht sei, halte ich für falsch. Natürlich findet sich in diesen Zuschreibungen auch ein Körnchen Wahrheit wieder, aber wenn wir nur auf Orgelmusik & Co. setzen, halten wir einer ganzen Generation die Tür als Zugang zum Glauben zu. Wer einmal Langeweile hat, der kann sich ja mal durchs Kirchengesangbuch lesen. Wie viele Teufel daraus qualmen und theologische Fragen auftauchen, die fern der Lebensrealität liegen! Was ich damit sagen will: An die neue Musik werden manchmal Maßstäbe angesetzt, die wir an die alte Tradition nicht anlegen. Wir brauchen hier ein Miteinander.

Halten wir Evangelischen nicht sonst immer die Pluralität ganz hoch?

Der Dialog kann oft nicht hoch und höher gehalten werden, doch bei den eigenen Jugendlichen heißt es dann: Geht nicht! Passt nicht! Schmeckt uns nicht! Da kann ich mich wirklich aufregen. Das ist eine Sünde an der eigenen Kirche.

Es darf nicht heißen: Lobpreis statt Orgel. Wir brauchen beides.

Es gilt, beides wertzuschätzen und kritisch zu betrachten. Natürlich gibt es in der Lobpreiskultur Texte, da wird mir als Theologe schwindelig, aber dies ist doch kein Grund, es generell abzulehnen. Nein, dann müssen wir es besser machen. Warum schickt die Evangelische Kirche nicht die besten Lyriker und Theologen zum Lobpreisseminar?

Was hat Sie bei der Studie am meisten überrascht?

Verschiedene Studien wie die Shell Jugendstudie haben eine Wertesynthese herausgearbeitet. Dies bedeutet: Scheinbar sich widersprechende Werte kommen zusammen. So haben Jugendliche kein Problem damit, Karriere zu machen, aber gleichzeitig in der Familie aufzugehen. Oder sie engagieren sich im Umweltschutz, gehen aber auch gerne zum Essen in den Imbiss mit dem gelben M. In Bezug auf die kirchliche Wirklichkeit ist es mir hier wie Schuppen von den Augen gefallen. Diese Generation bekommt theologische Widersprüche mühelos zusammen, wie bspw. Prädestination und den freien Willen, oder sie sagen mehrheitlich gelebte Homosexualität ist Sünde, aber das hat keine Konsequenzen für das Miteinander in der Gemeinde. Das fand ich sehr hilfreich, um diese Generation zu verstehen.

Sie haben gemeinsam mit Thorsten Dietz den ersten Teil einer Ethik verfasst. Was war für Sie ein Aha-Erlebnis?

Wir sind drei Jahre einen Weg miteinander gegangen. Das war insgesamt ein Aha-Erlebnis. In dem ersten Band geben wir ja auf konkrete ethische Fragen keine Antworten. Dies wird manche enttäuschen. Wir bieten eine Hilfestellung, anhand der Bibel und in den aktuellen gesellschaftlichen Transformationen seine eigene Meinung zu hinterfragen und eine moralische Orientierung zu finden. So ist es eine Ethik zum Selberdenken geworden.

Haben die Professoren Faix und Dietz die Wertesynthese der Jugendlichen durchlaufen?

Nein. Wir liefern mit „Wege zum Leben“ eine Hilfestellung, wie Menschen selbstständig und mündig zu ethischen Entscheidungen finden. Die können dann tatsächlich konservativ oder progressiv offen sein.

Hat die Ethik heute eine andere Stellung?

Ja. Ethik ist so ein bisschen die neue Theologie geworden. Früher hat man sich wegen theologischen Dingen wie Taufe, Abendmahl oder Allversöhnung gestritten. Heute spalten uns eher die ethischen Fragen. Wir diskutieren auf der Ebene der Theologie, aber es liegt im Bibelverständnis, im Weltbild, welches mich geprägt hat. Jetzt gilt es, dies für sich selbst zu erarbeiten, seinem Gegenüber den Weg offenzulegen. Wenn unsere Ethik dies leistet, haben wir viel erreicht. Erfahrung ist ein starker Marker in unserer Ethik.

It’s all about sex? Wieso wird in manchen Gemeinden beim Thema Ethik gleich an „Sexualethik“ gedacht? Welche Bereiche umfasst die Ethik vielmehr?

Ethik beschreibt erst mal die Reflexion eines moralischen Verhaltens. Wir haben ja im Alltag ständig moralische Entscheidungen zu treffen. Wir reflektieren das eigene Handeln oder das Handeln der anderen. In der Reflexion suchen wir Orientierung, und dass wir daraus etwas lernen und beim nächsten Mal gute Entscheidungen treffen können. Ethik bestimmt unser Leben in ganz vielen Bereichen und deshalb ist es wichtig, dass wir darüber ins Gespräch kommen. Da bin ich jetzt eher ein konservativer Theologe, der sagt: In diesen ganzen Fragen der Orientierung spielt die Bibel für mich eine wesentliche Rolle, weil sie uns grundlegende Prinzipien an die ethische Hand gibt. Deren Grundprinzipien wie Liebe, Gerechtigkeit, Freiheit, Barmherzigkeit etc. können uns eine gute biblische Orientierungshilfe sein. Aber wir nehmen natürlich auch Maß an aktuellen ethischen Entwürfen wie Rawls, Nussbaum oder Dabrock.

Doch entstehen nicht gerade in der Reibung, in der Berührung von verschiedenen Prinzipien Konflikte?

Na klar! Nehmen wir das Thema Schwangerschaftsabbruch. Für die einen ist da das wichtige Thema Gottes sein unbedingtes Ja zum Leben. Da sage ich auch unbedingt: Ja! Auf der anderen Seite kommt jetzt der wichtige Wert der eigenen Autonomie dazu. Die Frau soll Freiheit haben, selbst zu entscheiden. Und dazu kommen natürlich viele weitere Fragen: Wann beginnt Leben? Wie ist die Gesetzeslage? Plötzlich stehen mehrere große Werte gegeneinander. Aufgabe der Ethik ist hier, das Gespräch zu suchen, Erfahrungen und Kontexte in die Diskussion einzubringen. Meine Überzeugung ist: Hier müssen wir in unseren Gemeinden sprachfähiger werden. Jede Zeit bringt neue Fragen mit sich. Ethik verändert sich, weil sich die Gesellschaft ändert. Vor zehn Jahren haben sich die wenigsten Gedanken über eine Ethik der Digitalisierung gemacht.

Was kann „Lieschen Müller“ von Ihrer Ethik lernen?

Wir haben acht Probeleserinnen und Probeleser gehabt. Uns war es ein Anliegen, so zu schreiben, dass die Ethik nicht nur von studierten Leuten verstanden wird. Das Buch beginnt sehr persönlich. Schon im ersten Kapitel finden Sie eine Übung zur Reflexion der eigenen Biografie, des eigenen Verhaltens. Natürlich gibt es auch Passagen, da wird es etwas theologischer, aber grundsätzlich ist sie sehr praktisch und lebensnah.

Angenommen, Jesus würde Ihre Ethik zur Hand nehmen. Was würde er sagen? War Jesus ein Ethiker?

(lachen) Da hoffe ich natürlich, dass Jesus Gnade und Barmherzigkeit mit uns hätte. Er würde auf alle Fälle sagen: „Wow, viel Bergpredigt zitiert. Gut!“ Da Thorsten und ich von Bonhoeffers Nachfolgebuch geprägt sind und davon ausgehen, kommt dies natürlich stark vor. Ich hoffe, dass die Ethik Jesus gefallen würde. Jesus war Ethiker. Seine Bergpredigt war die größte ethische Rede, die jemals in dieser Welt gehalten wurde. Sie atmet starke Dramaturgie, ist großes Kino.

Was sind positive Dinge aus der Corona-Krise, die Sie unbedingt beibehalten wollen?

Der Wert einer Familie ist mir ganz neu nahegekommen. Ich bin eigentlich ein sehr umtriebiger Mensch. Das permanente Zuhause-Sein ist für mich mit vielen Glückserfahrungen behaftet. Ich habe an manchen Punkten neu vertrauen gelernt. Begeistert haben mich auch neue digitale Formate des Glaubens. Wir haben in der Gemeinde einen „TheoTalk“: 40 Leute treffen sich per Zoom und diskutieren über theologische Fragen. Das finde ich großartig! Analog wäre dies nie zustande gekommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hier geht es zu Teil 1 des Interviews.


Das Gespräch führten Rüdiger Jope und Ulrich Mang für das Kirchenmagazin „3E – echt, evangelisch, engagiert„. 3E erscheint regelmäßig im SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört.

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