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Kirche im Lernmodus: Corona-Krise birgt große Chancen für die Kirchen

Glaube und Online-Gottesdienst in Corona-Zeiten – was prägt sie, was zeichnet sie aus? Teil 1 eines Interviews mit Professor Dr. Tobias Faix.

Corona bewirkt, dass wir uns gerade nur online treffen können. Lassen Sie uns an Ihren letzten Monaten teilhaben: Was sind Dinge, die Sie besser nicht erlebt hätten?

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Meine Frau infizierte sich im November mit Corona. Jetzt, Mitte März, ist sie immer noch nicht ganz gesund. Sie kann immer noch nicht alles schmecken, ist oftmals kraftlos. Corona war für mich bis dahin immer weit weg, plötzlich hatten wir das Virus zu Hause. Zu dem leide ich hier und dort an der „Zoomeritis“ dritten Grades.

Dann trifft sich das ja heute Abend wunderbar …

Um 7.30 Uhr ging es mit dem Zoomen heute Morgen los. Abgesehen von einer kurzen Mittagspause sitze ich jetzt den ganzen Tag vor dem PC mit Vorlesungen und Sitzungen.
Was ich sehr vermisse, ist die Runde bei Freunden, das Seele-baumeln-Lassen mit ihnen bei einem Glas Wein. Dies kann auch die beste Netflix-Serie nicht ersetzen.

Was bedeutet Corona theologisch?

(lacht) Ich halte mich mit theologischen Deutungen zurück. Da gibt es so viel Unfug. Da halte ich es lieber mit Kierkegaard: Man kann das Leben nur im Rückblick deuten, aber immer nur vorwärts leben. Wir sind noch mittendrin in der Krise. Ich würde mich im Grundsatz dem tschechischen Theologen Tomáš Halík anschließen. Der hat mit dem Buch „Die Zeit der leeren Kirchen: Von der Krise zur Vertiefung des Glaubens“ (Herder) ja eine klasse Antwort geliefert.
In der Corona-Krise sieht er eine Lernerfahrung. Leere Kirchen sind für ihn ein selbstkritisches Mahnmal und ein Sinnbild für eine mögliche Zukunft, wo manches sterben muss, damit anderes neu wachsen kann. Wir erleben in einer Zeit des Umbruchs auf der einen Seite einen Rückgang der institutionellen Religion und Kirchen mit Kirchenaustritten etc., gleichzeitig haben wir einen starken Zuwachs an indifferenter Spiritualität. Die Querdenker beispielsweise sind hochgläubige Leute, die mutig für ihren Glauben auf die Straße gehen. Aber auch der Glaube an Mythen oder Naturreligionen nimmt zu. Es wird derzeit leichter und mehr geglaubt, dies ist aber oft nicht mehr anschlussfähig an institutionelle Glaubensformen. Glaube bzw. Spiritualität hat sozusagen Hochkonjunktur, aber er geht an der Kirche vorbei.

Was macht die Pandemie mit unserem Gottesbild?

Die Pandemie wird ja von Selbstständigen ganz anders erlebt als von Beamten. Die Lehrer unterrichten jetzt von zu Hause, sie bekommen ihr Gehalt weiterhin. Es gibt aber auch Menschen, denen bricht derzeit ihre ganze Existenz weg, die sind in finanziellen Nöten, geraten in Familienkrisen. Was ich damit sagen will: Dass die, die jetzt leiden, die Krise anders bewerten und viel leicht auch ein anderes Gottesbild betreiben, ist verständlich und nachvollziehbar.

Welches Bild von den Kirchen „zeichnet“ die Pandemie?

Die Kirche hat positive Erfahrungen gemacht. Wichtige Reform fragen, die Jahrzehnte unlösbar dastanden und als „schwierig“ vor sich hergeschoben wurden, beginnen sich plötzlich zu lösen. Die Evangelische Kirche erweist sich als reformfähig von der Basis über die mittlere Ebene bis an die Spitze.

Zum Beispiel?

Im Blick auf Gottesdienste lebten wir oftmals in einer Monokultur. Dreiviertel der Veranstaltungen liegen sonntags immer auf der gleichen Zeit, passieren im gleichen liturgischen Stil. Die Pandemie hat dies aufgebrochen. Es gibt YouTube- und Zoom-Gottesdienste zu allen Zeiten. Es gibt Gottesdienste vor Altersheimen, in Gärten, auf Spielplätzen, im Autokino. Ich erlebe eine große Dynamik, ein Suchen, man hilft sich technisch. Jugendliche Nerds sind plötzlich gefragt mit ihrem Know-how. Ich erlebe eine Stärkung des Ehrenamts. Und Kirche merkt: Digital funktioniert auch!

Da gießen wir mal etwas Wasser in den Wein: In vielen Gemeinden sind seit März 2020 die Lichter aus …

(lacht) Ich wollte mit dem Positiven anfangen. Wir Deutschen neigen eher zum Kulturpessimismus. Meine südafrikanischen Kollegen nennen die Deutschen nach drei Glas Wein immer „die Jammerlappen“. Sie sagen: „Bei euch kann es noch so gut sein, aber ihr findet immer etwas, wo ihr meckert und unzufrieden seid.“ Eine positive Sache möchte ich noch ausführen: Es gab für mich eine kirchliche Blase, die kulturell und milieumäßig ganz schön verhärtet war, wo außenstehende Menschen kaum reinkamen, weil sie die Grenze aus Sprache, Habitus und Geschmack nie zu über winden vermochten. Jetzt in der Krise wurden diese Grenzen aufgebrochen.

Konkret heißt das?

Meine Nachbarn sind Alt-68er. Die finden Faixens total nett, nur mit deren Glauben können sie nichts anfangen. In einen Gottesdienst würden sie nie gehen. Vor wenigen Wochen sagten sie: „Hey Tobi, du bist doch so gottgläubig. Jetzt kannst du aber gar nicht mehr in die Kirche gehen.“ Ich entgegnete ihnen: „Hey, ist doch gar kein Problem. Unsere Gottesdienste laufen doch jetzt bei YouTube.“ „Nein, das glaube ich nicht!“ Ich ließ ihnen dann den Link zukommen. Zwei Tage später trafen wir uns wieder am Gartenzaun.
„Tobi, meine Frau und ich haben uns den Gottesdienst angeschaut. Du hast gepredigt!“ „Ja!“ „Tobi, ich habe kein Wort verstanden.“ (Heiterkeit) „Aber dann war da diese Musik, meiner Frau sind die Tränen gekommen. Wir waren so gerührt von den Liedern. Kannst du uns nächste Woche den Link wieder schicken?“ Seitdem geben wir den Link weiter. Diese Situation in der Nachbarschaft hält uns einen Spiegel vor: In Online-Gottesdiensten ist nicht alles gut. Es sind weiter Grenzen des Verstehens da, aber es ist eine Grenzüberschreitung möglich, weil die Menschen dies in ihrer gewohnten Umgebung, in ihrer Sicherheit aus- und anschalten können. Leute können mitmachen, ohne dass es für sie peinlich wird. Diese Art von Beteiligung könnte einen Umlernprozess anregen.

Jetzt aber: Wasser in den Wein!

Das Enttäuschendste, das ich mir vorstellen könnte, ist, dass man hinterher in das zurückgeht, was einmal war. Ich glaube nicht, dass im Digitalen das Heil zu finden ist, sondern dass die Zukunft der Kirche hybrid ist. Das Digitale kann das Analoge nicht ersetzen, aber ganz wesentlich ergänzen. Miteinander singen und essen, Gruppendynamiken, diakonisches Handeln, den Nächsten sehen und ansprechen …
Das sind analoge Dimensionen, die nicht er setzt werden können. Die junge Generation geht spielend damit um, aber auch die ältere Generation hat unglaublich viel dazugelernt. Mein Vater ist über 80. Der bietet jeden Freitag für über 50 Leute per Zoom einen Gang durch die Bergpredigt an. Kirche muss an fangen, die digitalen Erfahrungen auszuwerten, zu systematisieren, und dann entscheiden: Wie und wo können wir was weiterführen?
Die Corona-Krise birgt eine große Chance für die Kirche!

Gemeinden engagieren sich teilweise mit Online-Formaten, investieren viel in Technik. Dennoch wird oftmals über schlechten Ton oder falsche Kameraführung gemeckert. Was bedeutet hier Barmherzigkeit?

Unser Sehverhalten ist natürlich durchs Fernsehen und YouTube geprägt. Plötzlich schauen wir auf dem gleichen Bildschirm, wo wir Serien sehen, den Gottesdienst. Das ist natürlich eine Brechung. Barmherzigkeit stellt für mich auch die Frage: Wie kann ich mich einbringen, statt nur vom Spielfeldrand zu kritisieren? Wir hatten jetzt unseren ersten Instagram – Gottesdienst. Das hätte ich nie machen können, aber unsere jungen Leute haben dies mit Leidenschaft an den Start gebracht. Ich würde nicht sagen, dass ich das jeden Sonntag haben möchte, aber ab und zu und für ein bestimmtes Zielpublikum ist das spannend und wichtig. Die Pandemie sorgt für enorme Lernerfahrungen!

Teil 2 des Interviews erscheint am Dienstag (22. Juni).


Das Gespräch führten Rüdiger Jope und Ulrich Mang für das Kirchenmagazin „3E – echt, evangelisch, engagiert„. 3E erscheint regelmäßig im SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört.

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